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Die Wärmewende mit kühlem Kopf voranbringen

Christophe Hug, Geschäftsführer der Leipziger Tilia Group, plädiert in seinem Redebeitrag anläßlich der „Leutzscher Gespräche“, einem traditionsreichen Leipziger Wirtschaftsformat, dafür, der Wärmewende mit einem kühlen Kopf zu begegnen. Er mahnt für mehr Stabilität im regulatorischen Rahmen, innovative Lösungen, mehr Zeit und mehr Optimismus in einer zunehmend aufgeheizten Klima-Debatte.

Herausforderung 1: Niemand blickt durch den Regulierungsdschungel

Der politische Rahmen für die Wärmewende ist katastrophal. Da ist nichts schönzureden: Zahllose EU-Normen, nationale Gesetze, Verordnungen und Richtlinien – die alle dazu ständig geändert werden – schaffen Probleme auf der Infrastrukturseite. Auf der Bau- und auch auf Versorgerseite weiß niemand mehr, was zu tun ist. Das Klimafonds-Urteil und die daraus resultierenden Haushaltssperren sind ein weiterer Schlag. Sie werden die Wärmewende verlangsamen. Darauf müssen wir uns einstellen.

Transformation braucht Stabilität in den Regularien. Schließlich verändern wir hier Infrastruktur….wie soll das gehen, wenn sich während dem „Strategieprozess/Wärmeplanung“ und dann der konkreten Umsetzung mehrfach der Rahmen verändert?  Am 15. Dezember 2023 wurde das Gesetz zur kommunalen Wärmeplanung offiziell verabschiedet und ist wie geplant Anfang 2024 in Kraft getreten. Auch auf einen Kompromisshaushalt konnte sich in diesen Tagen geeinigt werden. Damit die Wärmewende gelingen kann, braucht es politische Steuerung und Konstanz in den gesetzlichen Vorgaben. Nur so kann die neue, investitionsintensive Infrastruktur aufgebaut werden, die wir benötigen.

Herausforderung 2: Energiewende-Investitionsbedarf bei 1,9 Billionen Euro

Noch immer wird unterschätzt, wie kostenintensiv neue Lösungen im Wärmebereich, vor allem in der Anschaffung sind. Sollte die individuelle Umsetzung die günstigste sein, stehen statt 6.000 Euro für einen Gaskessel nun 40.000 bis 80.000 Euro für eine Wärmepumpe mit Peripherie und Anpassungen zu Buche. Entsprechend hochgerechnet könnte den Stadtwerken einer mittelgroßen Stadt, die im letzten Schritt mit der Umsetzung der kommunalen Wärmeplanung beauftragt sind, schnell schwindelig werden.

Das Energiewirtschaftliche Institut der Universität Köln berechnete kürzlich einen Investitionsbedarf für die Energiewende von 1,9 Billionen Euro bis 2030, wovon allein eine Billion Euro auf die Sanierung von Wohngebäuden, also den Einbau neuer Heizanlagen entfällt.

Die Wärmewende lässt also den Investitionsbedarf in bisher gänzlich unbekannte Dimensionen hochschnellen. Ganz klar: Auf Basis seiner bisherigen Bilanz kann ein Stadtwerk die Transformation allein nicht stemmen. Ein paar Fördermittel gibt es bereits, aber für eine langfristige Planung reichen diese nicht aus.

Hier braucht es dringend politisches Umdenken. Auch bei den notwendigen Finanzierungslösungen ist „Offenheit und frühes gemeinsames Denken“ gefragt. An Beispielen wie Dänemark sieht man, dass es funktionieren kann. Hier wurde sich bereits im Jahr 2009 politisch darauf verständigt, bei neuen Projekten fossile Energien durch erneuerbare Energiequellen zu ersetzen.

Aber langsam sehen wir eine Veränderung, auch in der Technologieoffenheit. An Tilia-Projekten, wie einem Kältenahwärmenetz in Soest oder einem mit Seethermie betriebenen Feriendorf am Hainer See bei Leipzig, wird deutlich, dass Städte vermehrt auf zukunftsfähige, wenn auch investitionsintensive Lösungen setzen. Denken wir daran, dass auch Fernwärmenetze vor zehn Jahren noch verpönt waren. Heute sind sie politischer Wille, weil die Vergrünung großer Netze oft günstiger und effizienter sind als Einzellösungen.

Herausforderung 3: Die Ressourcen sind knapp

Wenn politische Klarheit geschaffen wurde, Gesetze verabschiedet, Wärmeplanung hergestellt und Gelder bereitgestellt sind, ja, was dann? Dann muss die erzeugte Wärme auch noch in unsere Häuser und zu unserer Industrie gelangen. Dazu braucht es Baustoffe, genügend Material und qualifizierte Menschen, die sie einzusetzen wissen. Die Baustoffkrise von 2021 ist noch nicht lange her, und den Fachkräftemangel haben wir alle kollektiv verschlafen.

Mehr Ausbildung, mehr Fachkräfte-Migration und eine deutliche Entschlackung des Verwaltungsapparats müssen Wege aus der Krise sein. Bei jedem Schritt der langen Transformation müssen wir unsere Ressourcen – politische, ökonomische, und ja, auch menschliche – optimal einsetzen. Nur so kann sie gelingen.

Herausforderung 4: Alles dauert zu lange

Die Wärme in Deutschland soll Stück für Stück dekarbonisiert werden, aber auch bezahlbar bleiben – eine große Aufgabe. Dafür braucht es funktionierende Systeme, die ineinandergreifen. Ich wiederhole mich an dieser Stelle gerne: Wärmewende ist Infrastruktur, Wärmewende ist landesweit der Aufbau von Netzen, Anlagen, Kraftwerken. Wer schon jetzt die Geduld verliert, oder unrealistische Forderungen stellt, hat die Dimension dieser Aufgabe noch nicht verstanden. Radikalität in den Forderungen hemmt eher, als dass sie hilft. Klimaneutral werden, gleich morgen? Und wenn man die Ziele für dieses Jahr verfehlt, fürs nächste Jahr erhöhen? Das kann nicht funktionieren.

Oft wird vergessen, dass die Idee einer Wärmewende noch relativ neu ist. Vorher war fälschlischerweise drei Jahrzehnte lang eigentlich nur von einer „Stromwende“ die Rede. Stand heute erreichen wir trotzdem erst 16 Prozent unseres Gesamtenergieverbrauchs aus erneuerbaren Energiequellen. Das ist eine Dimension, die zeigt, dass wir realistisch bleiben müssen. Geben wir der Wärmewende Zeit, ohne ebenjene zu vergeuden.

Das Ziel der Wärmewende motiviert mich enorm, denn es ist machbar. Aber alle müssen zusammenspielen, jedes Rädchen ins andere greifen. Geschlossen auf ein Ziel hinarbeiten: Das ist nicht unsere größte Stärke. Aber Aussagen, dass wir in Deutschland nur zwei Prozent der Emissionen des Planeten ausmachen, halte ich nicht für zielführend. Auch nicht, dass andere Länder viel weniger zur Energiewende beitrügen als wir. Denn wer eine Idee als richtig erkannt hat und von ihr überzeugt ist, muss vorangehen – und den Rest der Welt mitnehmen.

Christophe Hug ist Geschäftsführer der Leipziger Tilia Group, die Kommunen, Industrie, Immobilienwirtschaft und Versorger bei der Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit begleitet.

 

 

 

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